„Bren liebt Geschichten genauso sehr wie ich. Doch wo ich vor allem zuhöre und aus ihnen lerne, verbringt er viel Zeit und Gedanken damit, aus Lektionen und Legenden eigene Geschichten zu schmieden. Solange wir reisen und wandern bin nur ich es, der zuhören kann, doch sollten wir es schaffen alt zu werden, und in unsere Heimat zurück zu kehren, so hat er vielen Erzählungen die wir mit den Jungen und den Alten teilen werden. Er hofft das unsere Lehren, mit viel Blut und Leid bezahlt, den Kindern der Odûne helfen kann, andere, billigere Fehler zu machen.“
„Menschling, Fleischling. Ich erzähle dir eine saga, eine Legende aus meiner Vergangenheit, und eine Geschichte, eine sannhet aus meinen Leben und weise dich zu den Lehren die in beiden versteckt sind.“
Bren sieht dich an, Fänge leicht gebleckt. Ein Lächeln? Ihr sitzt gemeinsam unter den Sternen. Aus der Ferne hörst du Stimmen und Gelächter, andere, die sich um ein Feuer versammelt haben, und das Ende des Tages feiern. Ihr beide sitzt etwas abseits von ihnen, damit Bren dir eine Geschichte erzählen kann, an der er gerade arbeitet.
„Diese Legende stammt nicht vom meinen Geschwistern, nicht von den Kindern im Norden. Sie ist eine saga unserer Verwandten im Süden, den Verschlingern der Toten. Aber sie enthält Lektionen die für alle wahr sind, und so trage ich sie weiter, in den Norden, zu den meinen.“
Bren setzt sich auf, und hebt an zu erzählen. Du merkst wie sich seine Stimme verändert, etwas getragenes, schweres bekommt, ganz anders als die Leichtfertigkeit, mit der er sonst spricht.
„Det ver en gang, in den Tagen ohne Namen, als die haren noch Fleisch fraßen, zwei, die vor fast allen anderen waren. Hun-er und Han-er, Sie-Ist und Er-Ist. Beide gleich in fast allen, eben in Stärke und Mut, in kjaerlighet og skjônnhet, lebten sie viele Jahre zusammen, jagten gemeinsam ihre Beute, und kämpften gemeinsam gegen ihre Feinde.“
„Vor vielen Jahren, als mein Bruder und ich noch keine Hälften sondern uns fremst waren, und ich kaum aus meiner Heimat gerufen und gerissen wurde, waren wir Feinde, in hat og raseri, Hass und Wut, vereint und getrennt. Wir hatten beide eine Schlacht um unseren Körper geschlagen, und hatten beide verloren.“’
Bren hält hier kurz inne, gedankenverloren. Reue scheint in seinen Augen zu schimmern.
„Nachdem wir aus unserer Gefangenschaft geflüchtet sind, reisten wir nach Norden, in Richtung unsere alten Heimat. Was mein Bruder dort suchen wollte, bin ich mir bis heute nicht sicher, doch ich sehnt mich nach Sicherheit, nach hjemsted und Gemeinschaft, die nur ein Rudel unseresgleichen bieten konnte. Kinder des Madath, Brüder der Wölfe. So flohen wir gemeinsam, blind und taub für einander, zurück in unsere alten Lande.“
„So wie es geschieht, wenn Zwei eins werden, wurde Sie-ist schwer mit Kind. Han-er, voll mit Sorge und Liebe, jagte durch die weiten Lande, riss Beute um Beute, schlug Feind um Feind, um hjemsted und Nahrung für die seinen zu schaffen, und um alle Gefahren für Sie-Ist zu bannen, ehe Sie schwach wurde. Doch um alle Gefahren zu bannen, wagte Er sich tief in die dunklen Lande der Mochûla, wo Er einsam kämpfte.“
Bren sieht dir in die Augen, fordert deine Aufmerksamkeit.
„Beachte! Hier lieg die erste Lektion zum zweiten Mal versteckt. Fern von Heimat und Banden, verlassen und verängstig, geschwächt von Sorge, getrieben von Furcht, jagte Er-Ist tief in den dunklen Landen. So wie wir unsere Beute von seiner Herde trennen um es zu reißen, so lockten ihn die Mochûla tiefer und tiefer in die Dunkelheit, in Abgründe und Schluchten, bis er eine Stimme hörte, die aus den Schatten zu ihm sprach: „Was treibt dich, großen Jäger, in diese Tiefen, wo nur Nachtschwarze und edderkopper leben?"
Und so antwortete Er-Ist: „Die meine, Sie-Ist, die mir in allen Dingen gleich ist, ist schwer mit Kind. Ich jage nun alles Übel in den Landen, zerschlage alle Feinde die ich finde, damit Sie sicher ist.“
„Die dir in allem gleich ist?“ fragte die Stimme. „Warum aber jagst du dann alleine? Sollte sie nicht an deiner Seite stehen, gleich in allen Dingen?“
Und so säte die Mochûla, deren Name Stimme Süßgrass war, Zweifel. Er-Ist war ein starker Jäger, ja, aber selbst der stärkste Jäger ist schwach wenn er alleine ist. Und Er hatte ein starkes Herz, ja, aber selbst das stärkste Herz ist Nährboden für Übel, wenn es einsam ist.
Die Stimme Süßgrass war mächtig, und schnell schaffte sie es den Willen von Er-Ist zu brechen. Er-Ist wollte nicht alleine sein, so nähre sie die Furcht das das Kind-Im-Bauch Sie-Ist stehlen würde. Er-ist brauchte eine, die im in allem gleich ist, so warnte sie, das das Kind-Im-Bauch Sie-Ist verändern würde. Bis die Stimme Süßgrass ihn völlig vergiftet hatte, sodass er sich entschloss, Sie-Ist zu schlagen, damit, wenn Sie-ist Er-Ist nicht völlig gleich sein konnte, Er Sie wenigsten unter sich hatte, wo sie sicher und seine sein sollte.
Doch Er-Ist war nicht dumm, auch wenn Er nicht weise war. Er wusste das Er nicht gegen Sie-Ist gewinnen würde, da Sie, noch, ihm in fast allen gleich war. Und so wartete Er, bis das Kind-Im-Bauch größer und schwerer wurde, und Sie-ist schwerer und schwächer. So schwach, das Sie-ist nicht kämpfen würde, das Sie-ist sich unterwerfen, und das Kind-Im-Bauch aufgeben würde.“
Bren steht auf, beginnt nervös auf und ab zu gehen. „Habt ihr ich erkannt, den Fehler den Er-ist, und mein Bruder und ich von damals gemein haben? Nehmt euch einen Moment, darüber zu denken. Die erste Lektion ist wichtig, um die zweite zu verstehen.“
„Mein Bruder hatte aufgehört zu rennen. Er hatte ein neues Rudel gefunden, mit ihnen gemeinsam einen Kampf geschlagen, und gewonnen. Sie begannen gemeinsam zu reisen, und mein Bruder stürzte sich eilig in jeden Kampf. Er suchte die Klauen der Feinde, redete sich ein, das er kämpfte damit die seinen nicht kämpfen mussten, stand mal um mal an der Schwelle des Todes, um, so dachte er, die anderen von ihr fern zu halten.“ Ein Seufzer. „Wäre nicht zwei seiner Mitreisenden Bewahrer des Lebens gewesen, und wäre einer davon nicht mächtiger als alle helbreder die wir jemals gesehen hatten, und bis heute sahen, so wären wir sicher an der Torheit meines Bruder gestorben. Aber so war es ihm erlaubt, seine Torheit wieder und wieder zu wiederholen, bis ich es nicht mehr ertrug. Ich wollte nicht für Fremde sterben, nicht mich jene opfern, die weder meinen Namen kannten, noch mich darum gebeten hatten. Aber vor allem wollte ich nicht sterben, um jemanden den Kampf zu stehlen, den er selbst hätte schlagen können. Und so, nachdem wir einen verlorenen Bruder erschlugen, und wir wieder einmal fast starben, weil meine Hälfte alleine kämpfte, machte ich es braha min deutlich, dass wir nun zur unsere Heimat gehen würden, damit auch ich mich wieder finden konnte.“
Bren setzt sich wieder, legt sich halb hin. Etwas schein ihm Ruhe zu geben, aber die Unruhe ist noch nicht ganz gebannt. „Wir nähern uns dem Ende. Hier liegt der zweite Teil der zweiten Lektion versteckt, ebenso wie die Härte der dritten, welche in fast allen sager steckt, und in diesen einmal am Anfang und einmal am Ende liegt.“
„Und so kam der Tag, an dem Sie-Ist, schwer mit Kind und kurz vor dem Wurf, von Er-Ist gefordert wurde. Niemand weiß, was Er-Ist sage, denn niemand, der nah genug stand um seine Worte zu hören, überlebte. Sie alle starben an der Wut und Stärke von Sie-Ist.
Denn Er-Ist hatte Unrecht gehabt. Die Nähe der Geburt schwächte Sie-Ist nicht, sie machte Sie wütender. Sie spürte dass das Kind-Im-Bauch bald auf der Welt wandeln würde, und auch Sie-Ist wollte alle Feinde zerschlagen, damit ihr Kind sicher sein sollte. Und Er-Ist hatte sich zum Feind erklärt.
Ihr Toben war schrecklich, so schrecklich, das Land und Tier vor ihr flohen. Die Erde bebte vor ihrer Wut, der Himmel grollte ihre raseri, und Er-Ist konnte ihr nichts entgegen setzen, und verlor kläglich. Denn wo Er-Ist für Sie kämpfen wollte, kämpfte Er doch nur für sich und seine Angst, und wo Sie kämpfte, kämpfte Sie für das Kind-Im-Bauch, und ihre gemeinsame Zukunft.
So hatte Er-Ist verloren. Nicht nur den Kampf, nein, er hatte alles verloren. Er-Ist war Sie-Ist in nichts mehr gleich, nicht in Stärke, den er war nun schwach, nicht in kjaerlighet, den Sie-Ist hasste ihn, noch war Sie-Ist selbst gleich geblieben. Nach ihrem Kampf war auch von Sie-Ist kaum noch etwas geblieben, denn nun, nach ihrem Sieg, war Sie-Ist nun Sie-Ist-Stärker. Selbst seine Namen verlor er, und so ging er, namenlos, in die Tiefen der Mochûla, verbannt in zu den Nachtschwarzen, verfolgt vom Hohn und Gelächter der Stimme Süßgrass, die alles erreicht hatte, was sie hätte hoffen können.
Denn der Sieg, so groß er auch sein mochte, war bitter für Sie-Ist-Stärker. Auch Sie hatte alles verloren. Ihre Liebe, denn der, der Er-Ist war, war nun einer ihrer Feinde, und alle die ihr Nahe waren, denn sie starben an ihrer schrecklichen Wut. Doch der größte Verlust war das Kind-Im-Bauch. Der Kampf hatte die Kräfte von Sie-Ist-Stärker völlig aufgezehrt, und nichts mehr für ihr Kind gelassen. Und so brachte Sie nur Verlust zur Welt, und Stärke.
Denn die Rache die Sie-Ist-Stärker schwor, war mächtig, und grausam. Niemand ihrer Töchter würde sich jemals unterwerfen lassen, keines sollte Schwäche kennen. Und so verlangte Sie ein Opfer, denn das ist die dritte Lektion, die, die auch Sie-Ist lernte, um Sie-Ist-Stärker zu werden: Keine Stärke ohne Leiden, denn Stärke ist das Überwinden von Leiden. Darum fordert Sie-Ist-Stärker bis heute von ihren Töchtern das Leben ihrer ersten Kinder, so wie Sie ihr erstes Kind verlor, sodass ihre Töchter die Stärke finden, die Sie-Ist damals fand.“
Eine Pause. Bren scheint zu warten bis du seine Geschichte verdaut hast. Er sieht dich fragend an. Kann er weiter erzählen? Einem Moment wartet er noch, und hebt dann wieder an.
„Ein letztes Stück noch, dann ist es vorbei. Keine Sorge, dieses ist voller mit Hoffnung und fryd.“
„Im Norden fanden mein Bruder und ich einander. Es war nicht leicht, nein, aber auch nicht wirklich schwer. Wir waren zwei Hälften, die sich gespalten hatten, und das Hören verlernt hatten. Kaum das man uns unsere Ohren wiedergab, sie begannen wir zu heilen. Wir kämpften, ja, aber wir weinten auch, lachten, schrien, fluchten, tanzten, umarmten, jammerten, klagten, trösteten und wurden getröstet. Wir bluteten unser böses Blut, und spürten wie eine eiternde Wunde zu heilen begann. Denn wir waren zwei Hälften die im vielen Unterschiedlich waren, ja, aber vor allem waren wir zwei die im innersten gleich waren. Ich zeigte meinen Engsten die Lektionen die er vergessen hatte, (auch diese drei), und er gab mir die Ruhe, die ich verlor. Unser Band wurde neu geknüpft, die Schlucht zwischen uns verschwand, und wir begannen wieder, unsere Teile mit uns zu teilen, und gemeinsam, so scheint es, könnten wir gegen alles bestehen. Denn dies ist die erste Lektion, zum dritten Mal versteckt. Spätestens jetzt solltest du sie verstanden haben.“
Ein letzter Moment Ruhe. Bren wartet ob du etwas sagst, die Lektionen teilst, die du gelernt hast, aber du schweigst, hängst vielleicht noch dem einen oder anderen Aspekt der Geschichten nach, die Bren heute mit dir geteilt hat.
Bren schnaubt, und lächelt dann. „Hier sind sie nun, die Lektionen die ich dir zeigte:“
„Die Erste, die wir am Ende lernten, und Er-Ist am Anfang vergas: Der einsame Wolf stirbt. Ohne Gemeinschaft, ohne Rudel, ohne die deinen, bist du schwach, und leichte Beute.“
„Die Zweite, die aus der ersten wächst: Kämpfe für die deinen, ja, aber kämpfe nicht für deine Angst um sie, denn dann kämpft du doch nur für dich, kämpfe für eure gemeinsame Zukunft. Hoffnung verleiht Stärke tausendfach, und Verzweiflung bestenfalls nur einmal.“
„Die dritte, die Sie-ist-Stärker lernte, und die wir alle jeden Tag aufs Neue lernen: Aus Leiden wächst Stärke, denn Stärke heißt Leiden überwinden.“
Bren lässt seine Lektionen kurz sacken, steht dann auf, nickt dir zu, und verzieht sich wieder dahin, wo er hergekommen ist. Seine Geschichte ist vorbei, fürs erste, und deine geht weiter. Mal sehen, welche Lektionen und Legenden er noch darin sieht und schmiedet.
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(Hättest du alle drei Lektionen erkannt, und hättest du sie Bren erzählt, und hättest du recht gehabt, so hätte Bren noch einmal seine Fänge gebleckt, halb Lächeln, halb Herausforderung und dir drei Fragen gestellt:
„Aber wären Sie-ist und Er-Ist gute foreldre gewesen, wenn Sie so leicht ein so grausames Opfer von ihren Kindern fordert, und Er so leicht sich von den seinen trennt?“
„Aber was heißt es, das Sie-Ist in ihrer Wut nicht nur ihren Feind erschlug, sondern alle die ihr Nahe waren?“
„Und hat die Stimme Süßgrass wirklich gesiegt? Ja, sie hat einen Diener gewonnen, aber er ist schwach und gebrochen, und sie hat dafür einen schrecklichen Feind gezeugt, dessen Rache sie bis heute verfolgt. “ )
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(OT: Hyänen sind eine der wenigen Arten, wo die Weibchen völlig über die Männchen dominieren. Nicht nur im der Hierarchie ihrer Rudel, wo selbst das ranghöchste Männchen unter dem niedrigsten Weibchen steht, sondern auch Körperlich. Sie sind größer, stärker, brutaler, und haben tatsächlich den größeren Penis (oder Pseudopenis). Den Preis den sie für diesen zahlen, ist dafür recht bitter. Da er einen Umbau des Geburtskanals erfordert, ist die erste Geburt äußerst schwierig, da Teile das Fleisches aufreißen müssen, um für das Kind Platz zu machen. Nach der ersten Geburt hat sich das Problem größtenteils gelöst, aber es gibt kaum Fälle, wo das Erstgeborene einer Hyäne diesen Prozess überlebt, so dass das erste Kind einer Hyäne meist eine Totgeburt ist.)